Vorwort

Vor rund 25 Millionen Jahren im oberen Oligozän bedeckte ein warmes Flachmeer den Norden Deutschlands. Um die mecklenburgische Stadt Sternberg herum findet man heute noch Ablagerungen aus dieser Zeit: den "Sternberger Kuchen" - ein bräunlicher fossilhaltiger Sandstein, gefüllt von meist ausgebleichten Muscheln und Schnecken, manchmal auch Haizähnen, Fischwirbeln, Krabben und anderen tierischen Relikten. Ein guter Platz für Berufs- und Hobbypaläontologen, um Tagungen mit Vorträgen, Diskussionen, Sitzungen und Sammeltouren zu veranstalten.

Am Rande einer solchen Tagung fragte mich die Diplom-Geologin Karina Thiede aus Parchim, die über eine bemerkenswerte Sammlung fossiler Krabben verfügt, weshalb ich mich denn ausgerechnet für Spurenfossilien interessiere. Die Antwort fiel mir keineswegs schwer: Spuren sind Lebensäußerungen. Sie zeigen nicht die harte Schale eines Tieres, das vor Millionen Jahren existierte, ohne dass man daraus zunächst genaue Kenntnisse über seine Lebensweise gewinnen könnte. Nein, sie dokumentieren Bewegung, Fressverhalten, Bautätigkeit, Lebensbewältigung und Sterbevorgänge in einer uns gänzlich fremden Umgebung in einem uns völlig unvorstellbaren längst vergangenen Zeitraum.

Das Problem ist hier umgekehrt: Wer waren die Verursacher solcher Spuren? Die sogenannte "Aktuopaläontologie" mag für Krabben sinnvoll sein, da fossile und rezente Krabben, wie wir sie an den deutschen Küsten beobachten können, oft durchaus vergleichbar sind. Anders ist es zum Beispiel mit unterkambrischen Spurenfossilien aus einer Zeit, die rund 550 Millionen Jahre zurückliegt und die von gänzlich anderen Umweltbedingungen geprägt war - fast zehnmal so lange her wie das Aussterben der Dinosaurier...

Skolithos linearis von Öland. Foto: C. Friis

Wir bewegen uns in diesem Buch "vorwärts in die Vergangenheit", wohin uns die fossilen Spuren führen, und dann "zurück in die Zukunft", die wir nun selbst mitgestalten und mit zu verantworten haben - mit allen Konsequenzen. Diese Spuren führen in unvergleichliche Welten und in gewaltige Zeiträume, die hinter uns liegen: Milliarden von Jahren, die unsere menschliche Geschichte winzig erscheinen lassen.
 
Und da stößt die Paläontologie, die Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter, wegen der unvorstellbaren Zeitdimension an ihre Grenzen - genauso wie zum Beispiel die Kosmologie bzw. die Physik wegen der ebenso unvorstellbaren Raumdimension. Wie viel ist Wissen, wie viel ist Interpretation, wie viel ist Glaube? Was sind echte Fakten und was ist reine Poesie? Und: Was ist hinter den Grenzen des Wissens?

Sowohl der Theologie-Professor und Weltethos-Präsident Hans Küng als auch der Physik-Professor und Träger des Alternativen Friedens-Nobelpreises Hans-Peter Dürr sind der Auffassung, dass die Naturwissenschaften uns einen tiefen Einblick in die Struktur und die Dynamik unserer Welt gegeben haben, jedoch durch den von ihnen ausgelösten Siegeszug der Technik und die Vergötterung des “Machbaren” zu einer globalen Existenzkrise führten - vielleicht, weil keine ethischen Aspekte die stürmische Entwicklung begleitet haben?

Andromeda-Galaxie auf Kollisionskurs (NASA)

Nachdem die modernen Naturwissenschaften laut Dürr (2010) zudem ihre eindeutige gesetzliche Determiniertheit und damit auch ihre Fähigkeit zu exakten Prognosen verloren haben, sei nun ein “Brückenschlag zwischen Naturwissenschaften und Religionen” möglich geworden. Vor allem im Bewusstsein der systemimmanenten “Brüchigkeit und Unzulänglichkeit unserer heutigen säkularisierten, materialistischen Weltbetrachtung” - einer liebgewordenen, aber letztlich auch gefährlichen Scheinwelt.

Spurenfossilien bringen uns in eine Zeit zurück, in der das komplexe Leben überhaupt erst entstand und Körperfossilien selten bis gar nicht gefunden werden. Anhand von teilweise selbst entdeckten Lebenszeugnissen erscheint es mir jetzt nachweisbar, dass komplexes mehrzelliges Leben doppelt so alt ist wie bisher angenommen: mehr als 1,2 Milliarden Jahre statt "nur" etwa 600 Millionen Jahre. Dieses Leben hat sich in einer Kette schöpferischer Katastrophen in bestimmten Zeitabständen erneuert, was Darwins Evolutionstheorie in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Ob globale Eiszeiten, heftiger Vulkanismus, extreme Klimaschwankungen, Meteoriteneinschläge - mehrfach in der Erdgeschichte wurden die Lebewesen radikal dezimiert und neue Epochen begannen.

Bleibt zu hoffen, dass dieses Szenario nicht durch einen neuartigen Einschnitt ergänzt wird: die Katastrophe Mensch.

Uwe-M. Troppenz, Parchim 2013